Stefan hat in seiner alten Firma etliche Produkte erfolgreich bis zur Marktreife gebracht. Den Prozess dazu hat er mit jedem neuen Projekt immer weiter optimiert. Der bekannte Ablauf hat ihm Sicherheit gegeben, er ist schon durch unzählige Audits ohne Abweichungen durchgekommen und ihm war klar, das Vorgehen ist mittlerweile so perfektioniert, damit kanns nur gut gehen. Logischerweise hat er den Prozess in die neue Firma 1:1 übernommen. Dort bestand ja noch nichts, er konnte also auf der grünen Wiese anfangen. Wieso also das Rad neu erfinden, wenn er die ideale Lösung schon in der Tasche hat. In seiner alten Firma waren Werte wie Zusammenarbeit und Verbindlichkeit zentral. Entsprechend beinhaltete der Prozesse viele kleine Meetings zur gegenseitigen Abstimmung, dafür nur wenige Phase Reviews in langen, aber klar definierten Abständen, bei denen überprüft wurde, ob alle bis dahin nötigen Dokumente und Freigaben vorhanden sind. Und ob das Projekt auf Kurs ist, so dass das Produkt den Anforderungen der Kunden entspricht. Aufgrund der kleineren Meetings war sich Stefan sicher, dass die Phase Reviews nur formeller Natur sind und, wie in seiner Vergangenheit auch, es keine Schlaufen zur Nacharbeit braucht. Er war entsprechend zuversichtlich, dass die gesetzte Timeline eingehalten werden kann. Und war ganz entspannt, obwohl die Inhaberin häufig nachfragte, ob denn alles läuft und meinte, ihre Verkaufsabteilung würde auf das Produkt warten.
Das Problem war, dass die neue Firma sehr wettbewerbsorientiert war, und schnell ihren Kunden ein marktfähiges Produkt präsentieren wollte. Die Verkäufer wurden immer nervöser, weil sie nichts in der Hand hatten, was sie den Kunden zeigen konnten. Dafür hatten sie ständig irgendwelche Meetingeinladungen. Dafür haben sie doch aber keine Zeit. Sie müssen zum Kunden! Was will der Stefan denn die ganze Zeit besprechen? Das macht doch keinen Sinn, dass wir uns nur mit uns selber beschäftigen, wir müssen die Bedürfnisse des Kunden abholen!
Kurzerhand haben die Verkäufer die letzten Entwürfe, die sie gesehen haben, schon mal den Hauptkunden gezeigt. Diese hatten natürlich Verbesserungswünsche, die unbedingt eingearbeitet werden mussten.
Aufgrund der vielen Änderungen waren die Termine für die lange im Voraus festgesetzten Phase Reviews nicht einzuhalten und mussten ständig verschoben werden. Das führte dazu, dass diese Termine nicht mehr als verbindlich angesehen wurden und wenn sie dann doch mal stattgefunden haben, die To-dos nicht gemacht waren.
Das wiederum führte zu Streitigkeiten zwischen dem Verkauf und der Entwicklung. Keiner verstand, wie man so unfähig sein kann, einfach nicht das Richtige zu machen.
Nach zwei Jahren zog die Inhaberin die Notbremse. Das Projekt war mittlerweile viel zu teuer geworden.