Tu was du willst, aber halte dich an die Regeln!
Autor: Julia Englert
Veröffentlicht am: 06.11.2025 Lesedauer: 5 Minuten
Inhaltsverzeichnis.
1
Unternehmenswerte
2
Widersprüche
3
Wenn Widersprüche zur Zwickmühle werden
4
Wenn die eigenen Werte nicht passen
5
Was tun?
🥡 Take-Away Botschaft.
Widersprüche in Organisationen sind an der Tagesordnung. Aber wenn die Widersprüche zwischen Unternehmenswerten und gelebter Praxis zu stark sind, kann das zu Konflikten und unzufriedenen Mitarbeitenden führen. Der Artikel zeigt anhand von Beispielen, wie Double-Bind-Situationen und kognitive Dissonanz entstehen und was Organisationen tun können, um Werte und Prozesse in Einklang zu bringen.
Unternehmenswerte
Firmen zeigen gerne nach aussen und auch intern unter dem neuen Begriff "Employer Branding", was sie für vorbildliche Werte haben. Und damit diese nicht nur leere Worthülsen bleiben, werden sie auch aktiv eingefordert. Manchmal müssen Mitarbeitende sogar einen Code of Ethics oder Code of Conduct unterschreiben, um die Verbindlichkeit zu betonen. Doch gut gemeint, ist noch lange nicht gut gemacht. Denn die erlebte Wirklichkeit sieht oft anders aus.
Widersprüche
Vertrauen?
Ein Wert, der sich beim Employer Branding immer gut macht, ist Vertrauen. „Wir vertrauen uns gegenseitig“, heisst es dann. Die Mitarbeitenden können der Geschäftsleitung vertrauen und umgekehrt. Auch wenn dieser Wert ehrlich gemeint ist, erzählen die Prozesse oft eine andere Geschichte. Da gibt es plötzlich das Vier-Augen-Prinzip: Jeder Arbeitsschritt muss von jemand anderem kontrolliert werden. Oder ein Dokument muss immer noch vom Vorgesetzten freigegeben werden.
Offene Fehlerkultur?
Viele Unternehmen wünschen sich eine offene Fehlerkultur. Fehler sollen nicht vertuscht, sondern offen angesprochen werden. Das klingt vernünftig. Führungskräfte sollen dafür eine „psychologisch sichere Umgebung“ schaffen. Doch was passiert, wenn in den Jahreszielen gleichzeitig steht, dass nur eine niedrige Fehlerquote erlaubt ist, im Audit keine Hauptabweichungen vorkommen dürfen oder dem Kunden eine Null-Fehler-Toleranz versprochen wurde?
Keine Eigeninitiative?
Führungskräfte beklagen oft, dass ihre Mitarbeitenden zu wenig Eigeninitiative zeigen. Aber ist das wirklich fehlendes Engagement oder eher die logische Folge von Prozessen, die auf hierarchische Aufgabenabwicklung ausgelegt sind? Wie wird reagiert, wenn Mitarbeitende Abläufe hinterfragen? Ist kritisches Denken erwünscht? Oder bleibt im Alltag keine Zeit dafür, weil man davon ausgeht, dass die Vorgaben schon richtig sind. Schliesslich hat sich beim letzten Audit ja niemand beschwert.
Wenn Widersprüche zur Zwickmühle werden
Solche Widersprüche beschrieb Gregory Bateson in seiner Double-Bind-Theorie. Ein häufig zitiertes Beispiel zur Veranschaulichung ist die paradoxe Aufforderung „Sei spontan!“. Wer ihr folgt, handelt nicht mehr spontan, sondern auf Befehl und erfüllt damit die Aufforderung gerade nicht.
Das Dilemma dabei ist, dass Mitarbeitende oft nicht wissen, was nun tatsächlich von ihnen erwartet wird. Sollen sie ihrem Arbeitskollegen Vertrauen schenken oder nicht? Sollen sie einen Fehler tolerieren oder nicht? Sollen sie Eigeninitiative zeigen oder das System stabil halten? Wer ist da nicht verwirrt?
Einige Fachleute gehen sogar davon aus, dass solche dauerhaften Widersprüche nicht nur zu Unzufriedenheit führen, sondern langfristig Burnout begünstigen können.
Wenn die eigenen Werte nicht passen
Aber was, wenn die Organisation klar strukturiert und widerspruchsarm ist, die Werte aber nicht zu den eigenen passen?
Nehmen wir an, Tim, Tina und Hazel sind ein starkes Team. Sie vertrauen sich blind und wissen, dass jeder 100 % für die Firma gibt. Nun bekommen sie ein neues Managementsystem. Darin wird gefordert, dass jede Tätigkeit von Tim von Tina gegengecheckt wird. Also das vorher zitierte Vier-Augen-Prinzip. Damit der Check dokumentiert wird, führt man ein Formular ein. Tina macht mit, fühlt sich aber unwohl. Sie weiss, dass Tim zuverlässig arbeitet. Sie möchte ihn nicht kontrollieren und ihm das Gefühl geben, sie misstraue ihm. Also unterschreibt sie die Formulare, ohne sie wirklich zu prüfen. So gibt sie Tim weiterhin das Gefühl, dass sie ihm vertraut und befolgt gleichzeitig die Regeln, die eine Unterschrift von ihr verlangen.
Doch ihr Pflichtbewusstsein meldet sich. Sie weiss, dass das eigentlich nicht richtig ist. Sie fühlt sich daher immer schlechter und ihre Zufriedenheit beim Arbeiten wird immer kleiner.
Diese innere Spannung beschreibt Leon Festinger in seiner Theorie der kognitiven Dissonanz. Also den Widerspruch zwischen den eigenen Überzeugungen und dem Handeln. Solch eine Dissonanz kann auch Folge forcierter Einwilligung sein. Wenn Menschen gegen ihre Überzeugung handeln, etwa aus Angst vor Strafe oder in Aussicht auf Belohnung. Weil der Mensch nach innerer Konsistenz strebt, versucht er solche Spannungen aufzulösen. Beispielsweise durch Verhaltensänderung oder Anpassung der Einstellung. Gelingt das nicht, entsteht psychologisches Unbehagen. Im beschriebenen Beispiel versucht Tina diesen Widerspruch zu lösen, indem sie ihre Unterschrift «blind» unter das Dokument setzt. Sie versucht so, der forcierten Vorgehensweise und ihren eigenen Überzeugungen gerecht zu werden. Merkt aber schnell, dass sie damit keinen Erfolg hat. Im Gegenteil, statt Entlastung ist ein neuer Konflikt entstanden. Sie handelt unehrlich, obwohl sie eigentlich ein hohes Pflichtbewusstsein hat. Das Ergebnis: wachsende innere Unzufriedenheit.
Was tun?
Das Wichtigste ist Ehrlichkeit. Zu sich selbst und zu neuen Mitarbeitenden. Prozesse, die meine Werte widerspiegeln sollen, kann ich nur gestalten, wenn ich meine Werte kenne.
Fragt euch: • Sind die Werte im Verhaltenskodex wirklich unsere oder nur welche, von denen wir glauben, dass wir sie haben sollten? • Passen unsere Prozesse zu diesen Werten? Wenn nicht, warum? Haben wir einfach einen Prozess von aussen übernommen, ohne ihnen zu hinterfragen? Oder steckt ein unbewusstes Bedürfnis dahinter, etwa Vertrauen zu wollen, aber noch nicht bereit dazu zu sein? Bei Letzterem: Kommuniziert das offen. Vertrauen zukünftig zu schaffen, ist auch ein gutes Ziel. Man darf sich auch weiterentwickeln. Und wenn vermeintlich Regularien gewisse Kontrollen verlangen, prüft, ob sie das wirklich tun oder ob ihr es nur glaubt. Wenn ja: Seid ehrlich und kommuniziert das. Wenn nein: Findet Lösungen, die besser zu euch passen. Generell gilt, führt keine Prozesse ein, „weil man das eben so macht“. Hinterfragt Regeln. Überlegt euch, was ihre Intention ist. Keine Regeln um der Regeln willen. Sucht nach Lösungen, die zu euch und euren Werten passen. Im Beispiel von Tina: Warum wurde das Vier-Augen-Prinzip eingeführt? Gab es Fehler im Produkt? Vielleicht müsste man eher den Herstellungsprozess überdenken? Stichwort: Ursachenanalyse. Auch beim Onboarding gilt: Ehrlichkeit zuerst. Lieber eine Absage, weil die Werte nicht zusammenpassen, als dass später grosse Unzufriedenheit entsteht. Natürlich kann es auch eine bewusste Entscheidung sein, jemanden einzustellen, der andere Werte mitbringt. Wenn beide Seiten bereit sind mit offenen Karten zu spielen und voneinander zu lernen. Das schafft Möglichkeit zur Weiterentwicklung. Herausforderungen können schliesslich auch Spass machen. Tut was ihr wollt!